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Gary Snyder: Lektionen der Wildnis

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Gary Snyder "Lektionen der Wildnis"

Gary Snyders Aufsätze „Lektionen der Wildnis“ bieten Betrachtungen über ein Leben im Einklang mit der Natur, in der „Wildnis“; ein Leben, das es dem Menschen ermöglicht zu lernen, sich selbst als auch die Natur gleichermaßen zu respektieren und in Rücksicht aufeinander, auf andere Tiere und das gesamte ökologische System zu leben. Es ist schwer, bisherige Lebensgewohnheiten zu ändern, Snyder evoziert mit seinen Aufsätzen jedoch die Reflexion über das Verhältnis des Menschen zur Natur und entwickelt daraus Perspektiven, die mit diesen Gewohnheiten aufbrechen.
Als Umweltaktivist, Dichter und Literaturprofessor verwendet Snyder in seinen gut zwanzig Jahre alten Aufsätzen eine sehr bildhafte, teilweise blumige Sprache, die das Thema auf vielfältige Art und Weise umkreist und ungeübten Leserinnen und Lesern einen vagen, unklaren und schwammigen Eindruck seines Anliegens vermittelt. Für einen Naturwissenschaftler also stellen die wenig wissenschaftlich argumentierten Texte wohl ein ungewöhnliches und auch gewöhnungsbedürftiges Medium dar, mit dem Thema Natur umzugehen.

Die unberührte Natur

Snyder spricht von der unberührten Natur als „Wildnis“, und meint damit einen vom Menschen unberührten Lebensraum. Gleichzeitig ist sie für ihn ein Lebensprinzip und eine philosophische Sichtweise auf die Natur. Er bespricht, was genau die Wildnis für den Menschen  und wie wichtig diese für den Menschen sein könnte. Dabei ist es für ihn notwendig, dass Natur und Mensch in einem ökologischen Einklang leben, der Mensch nicht mehr von der Natur verlangt, als er benötigt und nicht zwanghaft in diese eingreift. Aus diesem Grund ist er auf der Suche nach vom Menschen gänzlich unberührter Natur, also ein Stück „Wildnis“ und nach Menschen, die diese „Wildnis“ noch ausleben, das heißt, an der Natur teilhaben und sich beinahe symbiotisch mit ihr verbinden, um mehr Lebensqualität zu erlangen.
Snyder stellt sich die Frage, wo diese Menschen noch zu finden sind, die diese Wildnis auch wirklich leben. Als historisches Beispiel nennt er Nordamerika vor 200 Jahren, und argumentiert, dass die Natur reich an Tieren und verschiedenen Arten war, obwohl diesen Raum viele Menschen besiedelten. Das Eingreifen in diesen natürlichen und sich selbst regelnden Lebensraum, so zum Beispiel die industrialisierte Fleischproduktion, sieht er als Ursprung „grenzenloses Unglück dieser Gesellschaft“ (S. 31) an. Damit verschwindet „Wildnis“ im übergeordneten Sinn als „Natur“, als Lebensraum von Tieren und Pflanzen, aber auch als Raum, der nicht von Menschen besiedelt war. Es gibt nur noch wenige Teile auf der Erde, die vom Menschen bis jetzt unberührt blieben – das allein zeigt die Schwierigkeit, diesen Begriff einer uneingeschränkten „Wildnis“ überhaupt nachvollziehen zu können.

Die Wildnis

Die „Wildnis“ ist für Snyder also zum einen völlige Unberührtheit der Natur, ein Begriff und ein Zustand, den er nun in unsere industrialisierte Gesellschaft einbringen will und als Lebensprinzip gilt, das dem Menschen lehren soll, Einfachheit und Glück zu verbinden. Er spricht sich somit gegen eine „Zweiteilung zwischen dem Zivilisierten und dem Wilden“ (S. 34) aus, wodurch die „Wildnis“ in die „zivilisierte“ Gesellschaft eingebracht werden könnte.
Von Anfang an ist jedoch unklar, aus welchem Grund die „Wildnis“ eine solch große Rolle spielt, als welche Intention hinter den Aufsätzen stecken und welches Ziel er genau verfolgt. Zur Orientierungslosigkeit trägt zu größtenteils auch die schwammige Sprache bei, durch die konkrete Aussagen vermieden werden. Es ist anzunehmen, dass Snyder diese Aufsätze eher als engagierter Umweltaktivist und nicht als Autor eines wissenschaftlichen Texts verfasst hat, deshalb ist seine fehlende Eindeutigkeit, Entschlossenheit und Leidenschaft zu spüren.
Trotzdem behandelt Snyder in „Lektionen der Wildnis“ natürlich ein bedeutendes Thema und es ist ihm hoch anzurechnen, dass er dies bereits vor zwanzig Jahren getan hat. Wie soll der Mensch einer industrialisierten Gesellschaft mit der Natur umgehen? Inwieweit kann eine solch natürliche oder „wilde“ Lebensform existieren und den Menschen glücklich machen? Synder bewegt sich auf den Spuren des Schriftstellers und Philosophen Henry David Thoreau, der bereits vor knapp zweihundert Jahren Überlegungen zu einem Leben, das Natur, Gesellschaft und Wissenschaft verbindet, anstellte. Doch wie will Snyder diesen Zustand der Wildheit wieder erlangen und ihn ausleben?
Wenn man nicht nur praktische Bodenforschung machen, sondern sich auch im übergeordneten Sinn, auf der Metaebene, mit diesen Fragestellungen beschäftigen will, dann ist die Lektüre von Snyder zu empfehlen. Rechnen Sie dabei aber nicht mit einem rein naturwissenschaftlich orientierten oder statistischen Ergebnis, sondern mit eher allgemeinen, in einem bildhaften Ton gehaltenen Betrachtungen, die oftmals sehr aktuelle Themen ansprechen und sich für die Erfahrung mit der und das Wissen über die Natur und die Loslösung von einer starren Gesellschaft aussprechen, denen es aber als Texte, die in sich selbst auch einen Diskurs mit dem eigenen Thema darstellen, oft an Substanz und Entschlossenheit fehlt. Nichtsdestotrotz kann der Text – vor allem für Naturwissenschaftler – einen völlig neuen Zugang zu dem Thema darstellen und gerade wegen seiner untypischen Annäherung an das Thema Natur eine Horizonterweiterung oder einen Perspektivenwechsel bewirken. Schließlich behandelt er nicht nur ein abgeschlossenes, wissenschaftliches Gebiet, sondern widmet sich mit dem Begriff „Wildnis“ dem Zusammenwirken von Mensch und Natur, was nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen sein, sondern vor allem als Tatsache in den Köpfen der Menschen Platz finden soll.

Gary Snyder
Lektionen der Wildnis
Matthes und Seitz Berlin
Berlin 2011
ISBN-10 3882216573
ISBN-13 9783882216578
Gebunden, 263 Seiten, 26,90 EUR


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