Warum könnte ein Buch über Social Media für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Interesse sein? Der Grund sollte eigentlich auf der Hand liegen: Es kommt nicht nur darauf an, zu lernen und zu forschen, sondern auch darauf, seine Forschungsergebnisse auch einer zumindest etwas breiteren Öffentlichkeit bekanntzumachen. Die verschiedenen Formate der Social Media können aber natürlich auch für die Kommunikation untereinander genützt werden.
Ein Buch wie das vorliegende kann außerdem von Interesse sein, weil einerseits aktuelle und studentische Aktivitäten gezeigt werden und andererseits viele Beispiele aus dem sozialen Bereich stammen. Und auch wenn die verschiedenen Einflussfaktoren manchmal noch diskutiert werden: die sozialen Auswirkungen des Klimawandels machen ein gesellschaftliches Engagement der WissenschaftlerInnen notwendig.
Das Buch “Soziale Bewegungen und Social Media” ist durch die Zusammenarbeit von in Internet und in Social Media tätigen JournalistInnen, KünstlerInnen, StudentInnen, BloggerInnen und vielen anderen entstanden. Es ist als Cross-Media-Projekt gemeinsam von mehreren “BeiträgerInnen” herausgegeben worden. Entstanden ist das Buch in einem Arbeitswiki, das gemeinschaftlich lektoriert wurde. Die AutorInnen nutzten auch andere soziale Netzwerke zur Koordination und Absprache. Im Buch wird denn auch der zumeist halböffentliche, wenn nicht öffentliche Auftritt von Privatpersonen im Netz und dessen Auswirkungen ebenso diskutiert wie der Einfluss von Social Media im kommerziellen, öffentlichen und privaten Bereich
Bereits am Anfang wird darauf hingewiesen, dass für eine NGO oder Interessensgruppe ein Auftritt im Internet nicht so leicht zu bewältigen ist wie für ein Unternehmen, das seine Produkte verkaufen will und sich der neuen technologischen Mittel bedient. Bei nicht-kommerziell ausgelegten Gruppen geht es mehr darum, welche Inhalte man verwenden und welche Zielgruppen man ansprechen will – und wie man diese beiden Faktoren miteinander vereint. Zudem muss man überlegen, wie und mit welchen Mitteln man aktiv werden kann und will.
Das Buch kommt aus dem gewerkschaftlichen Bereich: Der ÖGB will damit wahrscheinlich auch zeigen, dass sich die Gewerkschaften auch den neuen sozialen Bewegungen zuwenden möchten.
Zum Aufbau des Buchs
Jedes Kapitel oder Unterkapitel wird von persönlichen Kommentaren einzelner BloggerInnen abgeschlossen, was Einblick in verschiedenste Meinungen und Diskussionen bietet. So weist zum Beispiel der Blogger Stefan Kraker darauf hin, dass InternetnutzerInnen, die verschiedenen Generationen angehören, auch unterschiedlich mit dem Internet umgehen: Während die einen von der Schnelligkeit und dem optischen und technischen Aufbau überfordert sein könnten, geht es anderen eventuell zu langsam. Dieses unterschiedliche Anforderungsprofil verweist auf die zentrale Frage: Welche Ziele verfolgt man durch einen Auftritt im Web, und erreicht man die angestrebte Zielgruppe überhaupt? Die Klärung dieser Frage und die Auswahl der Kommunikationsmittel entscheiden letztendlich über den Erfolg des Internetauftritts.
Im zweiten Kapitel werden Fallbeispiele vorgestellt. So wird etwa berichtet, wie Frankfurter Forscher, die mit ihren Arbeiten über “gentrification” bei staatlichen Behörden Aufsehen erregt hatten, verhaftet, und auch nach ihrer Entlassung weiterhin überwacht wurden. Anlass genug für die Lebensgefährtin eines dieser Forscher, einen Blog über die Überwachung, die auch sie betraf, und über die Terrorismusbekämpfung generell zu starten. Bemerkenswert an diesem Beispiel ist, dass man auch als – betroffene – Privatperson aktiv werden kann – ohne einer großen Organisation angehören zu müssen.
„unibrennt“ und andere Beispiele
Als weiteres Beispiel wird die 2009 in Österreich entstandene “uni brennt”-Bewegung genannt, die zeigt, wie studentischer Widerstand auf Facebook organisiert und Informationen schnell an die Medien weitergegeben werden können.
Das Buch bringt auch Beispiele aus dem Gewerkschaftsbereich und erläutert, wie sich KollegInnen in schwierigen Arbeitsverhältnissen untereinander verständigen und den sozialen Alltag gestalten.
Im Unterkapitel “Online-Kampagnen im Reality Check“ geht es darum, wie man Online-Kampagnen am besten plant und welche Tools man braucht, damit sie auch erfolgreich werden. Der Erfolg lässt sich im Vorhinein naturgemäß schwer abschätzen, wichtig ist jedenfalls, die Zielgruppen möglichst genau zu definieren.
Diese in der Mehrzahl aus dem sozialpolitischen Bereich stammenden Beispiele werden manchmal leider relativ unreflektiert dargestellt, und die Haltung gegenüber den im Internet verbreiteten Inhalten ist durchwegs unkritisch. Das ist wirklich schade und wirkt stellenweise skurril, wenn z. B. Barack Obamas Wahlkampfkampagne in Zusammenhang mit der Graswurzelbewegung gebracht wird – besonders angesichts des hinlänglich bekannten europäischen Missverständnisses, Obama für einen Sozialdemokraten, geschweige denn für einen Linken zu halten.
Das Unterkapitel “Glaubwürdigkeit ist wichtig, Authentizität ist cool” bespricht im Zuge einer weiteren Analyse von Obamas Wahlkampfkampagne den geschickten Umgang mit Social Media. Es wird unter anderem erläutert, wie man z. B. in einem Blog auftreten sollte, um authentisch zu wirken. Für BloggerInnen, die etwas professioneller an die Sache herangehen wollen, scheint es allerdings unerlässlich zu sein, sich diese Regeln zu Herzen zu nehmen. Vor allem für wissenschaftliche Online-Projekte ist es sehr wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, welche Anwendungen für die eigenen Aktivitäten sinnvoll sind, welche Tools man selbst gut nützen und woher man welche Ressourcen bekommen kann.
„Manuals“ oder die Frage nach dem Wie
Diesen Fragen widmet sich das dritte Kapitel „Manuals“. Hier werden verschiedene Blogs, zum Beispiel „Wordpress“, beschrieben und Content Management-Systeme wie „TYPO3“ erläutert. „TYPO3“ ist eines der mächtigsten CMS – und damit auch eines der am schwierigsten zu verwendenden. Verwendet wird es zum Beispiel von der Universität für Bodenkultur in Wien, die erfolgreich damit arbeiten kann, weil die Universität über den dafür notwendigen technischen Informationsdienst und wirklich gut geschulte MitarbeiterInnen verfügt.
Der Blogger Florian Engel empfiehlt das CMS „Drupal“. Unsere Erfahrung spricht allerdings noch gegen dieses System, dass es im europäischen Raum noch sehr wenig verbreitet ist und es keine große Community dafür gibt.
Das Kapitel „Auszug aus dem Netzknigge“ erklärt, wie man sich als BloggerIn im Internet angemessen verhält, und macht deutlich, dass man mit eigenen Informationen nicht geizen soll. Man kommt nur zu Informationen, wenn man selber auch welche hergibt – wichtig ist also der Informationsaustausch!
Das Kapitel über partizipative Veranstaltungen liefert Hinweise dafür, wie man Seminare, Workshops und Meetings durch Internetaktivitäten ergänzen oder leichter im Internet durchführen kann.
Das Unterkapitel „Präsenz und Aktivitäten“ widmet sich eher den aktionistischen Formen von Netzaktivitäten, die für die wissenschaftliche Arbeit und Forschungen wahrscheinlich weniger von Belang sind. Für StudentInnen sind die Beispiele sicher trotzdem interessant, weil es vor allem um studentische Aktionen geht, die die Öffentlichkeit auf wichtige gesellschaftliche Anliegen hinweisen.
Es werden dabei Überlegungen angestellt, wie Anliegen auf originelle Weise vermittelt werden können. Der Einsatz von Filmen, Videos und Livestreams eröffnet neue Möglichkeiten, Youtube ist dafür sicher eine ausgesprochen wichtige Plattform.
„Viral“ oder „Nicht-Viral“
Die Erklärungen zu „viralem Marketing“ – einem „Inhalt, [der] innerhalb von kurzer Zeit sehr, sehr viele Menschen erreicht“ (S. 212) – lassen keinen Zweifel daran, dass man vor allem eine gute Idee und viel Glück braucht, um damit erfolgreich zu sein, und dass ein Erfolg der Marketing-Kampagne bei der Planung schwer vorherzusagen ist. Lassen Sie sich also lieber keine Kampagnen für teures Geld verkaufen, auch wenn sie noch so toll klingen: Seien Sie selber kreativ, lassen Sie sich etwas einfallen.
In diesem Zusammenhang erklären die AutorInnen auch den Begriff „Blogparade“: die Präsentation von Inhalten auf mehreren Kanälen, die Nutzung mehrerer Blogs. Auch die Vernetzung trägt also dazu bei, wie erfolgreich die Informationsvermittlung im Endeffekt ausfällt.
„Orientierung und Souveränität“
Unter „Orientierung und Souveränität“ – die AutorInnen neigen durchaus zu anspruchsvollen Titeln – beschäftigt sich ein weiterer Teil – „Test the Social Media“ – mit journalistischer Recherche. Dort wird auch erklärt, wie BloggerInnen mit den eigenen Themen und der Aufmerksamkeit anderer BloggerInnen umgehen (sollten).
„Datenschutz und Datensicherheit“ sind auf jeden Fall für alle von Interesse, die im Netz sicher surfen und ihre E-Mails verschicken, ihre Daten umsichtig verwalten und ihre Privatsphäre wahren wollen.
Im vierten Kapitel „Noborders“ finden sich wieder aktivistische Beispiele, die soziale Aktivitäten mit dem Thema „Global Village“ verknüpfen und Kritik an der Globalisierung und der Verletzung der Menschrechte mit Netzaktivismus verbinden. Dies kann zum Beispiel für WissenschaftlerInnen interessant werden, die Unterstützung und MitstreiterInnen für ökologische Projekte wie Wiederaufforstung oder Artenschutz suchen und ihre Projekte in der Öffentlichkeit bekannt machen wollen. Die Bedeutung alternativer Medien und Plattformen, etwa von „WikiLeaks“, ist groß, aber auch hier wird auf den notwendigen Zusammenhang von realem Leben und Netzaktivitäten hingewiesen. Zusammenarbeit, Ideenaustausch und Kommunikation kommt nicht nur im wirklichen Leben, sondern auch in einer virtuellen Umgebung eine entscheidende Rolle zu.
Resümee 1: Wenn man den Inhalt des Buchs gut von den gewerkschaftlichen Arbeitsfeldern abstrahiert, kann man sicher genug Anregungen und gute Beispiele für die eigenen Projekte finden.
Unserer Ansicht nach bringt das Buch viele Grundinformationen und bietet einen guten Einstieg für alle, die in sozialen Netzwerken aktiv werden, Projekte planen und über die Wissenschaftscommunity hinaus kommunizieren möchten. In den Beispielen wird gut und realistisch erklärt, ob und wie Ideen und Projekte durchführbar sind. Die immer wieder in den Text eingestreuten Erklärungen und Begriffsdefinitionen, die – gelb unterlegt – gut erkennbar sind, sind auch recht hilfreich.
Resümee 2: Am Schluss kommt ein „Making Of“, in dem die „MacherInnen“ und „BeiträgerInnen“ des Buchs vorgestellt werden – und bei dem am Anfang des Kapitels natürlich ein Zitat des Pop-Medientheoretikers Mashall McLuhan nicht fehlen darf.
Der Verlag hat sich sehr bemüht, das Buch ansprechend zu gestalten und die Inhalte in einer modernen Form aufzubereiten – dabei sind vielleicht die Einheitlichkeit und die Übersichtlichkeit ein wenig zu kurz gekommen. Man bekommt als LeserIn das deutliche Gefühl, dass das Layout sich eher an die von Neville Brody gestalteten Magazine der 80er- und 90er-Jahre anlehnt und weniger an die Erfordernisse eines umfangreichen Buchs mit sehr vielen und unterschiedlichen Informationen. Auch die Website, die das Handbuch vorstellt und ergänzt, glänzt nicht unbedingt durch ihre packende Gestaltung.
Ökologisch orientierte LeserInnen werden wahrscheinlich auch mit dem glanzgestrichenen Papier unzufrieden sein und es bedauern, dass der Verlag nicht lieber ein umweltverträglicheres, nachhaltig produziertes Papier genommen hat.
Sehr positiv ist jedenfalls, dass der Text des Handbuchs im Internet frei und öffentlich zugänglich ist, wobei in der Internetfassung über Hyperlinks schnell weitere Informationen zu Stichworten eingeholt werden können. So wird z. B. vom Begriff „Gegenöffentlichkeit“ auf Wikipedia verlinkt und man kann sich die besprochenen Bilder, Videos und Blogs gleich direkt anschauen.
Als LeserIn dieses Handbuchs bleibt man zum Schluss aber weiter mit der Frage zurück, wie ein Thema, das in der Sphäre der „Social Media“ Aufsehen erregt, auch im realen Leben weite Kreise ziehen kann. Die Aufmerksamkeitsspanne fällt im Internet zuweilen recht kurz aus, und die Unterstützung für aktivistische Projekte bleibt oft virtuell. Trotz aller guten Absichten der AutorInnen bleiben manche Tipps und Feststellungen für AnfängerInnen im Social-Media-Bereich eher undurchsichtig. Man muss sich jedenfalls darüber im Klaren sein, dass es sich bei Facebook, Twitter und Co. um eine Welt handelt, in der man sich gut auskennen muss, um sich langfristig einen guten Ruf aufzubauen. Aber wo gilt das nicht?
#sbsm – Soziale Bewegungen und Social Media
Handbuch für den Einsatz von Web 2.0
Hans Christian Voigt, Thomas Kreiml (Hg.)
ÖGB Verlag
Wien 2011
396 Seiten, e-Book inside, 29,90 EUR
ISBN: 978-3-7035-1462-3