Der Mensch, im Eigentlichen die Menschen, haben schon immer die Natur gestaltet. Entweder weil sie, wie zu Beginn, als Jäger und Sammler unterwegs waren, ohne damals allerdings wesentlich in die Natur eingegriffen zu haben, oder heutzutage, wenn sie z. B. im Tagbau Kohle abbauen und riesige Krater hinterlassen oder wie in Tschernobyl einfach nur verseuchte Erde.
Dazwischen gibt es eine unüberschaubare Vielfalt von Konzepten und Modellen des Umgangs mit Natur und Landschaft, wobei sich schlussendlich auch die Frage stellt: Wie lange braucht die Natur eigentlich, um sich vom Menschen zu erholen? Der Satz hat immer noch Bedeutung: Wir brauchen die Natur, die Natur braucht uns nicht.
In der Ausstellung „(re)designing nature“ wird den Fragen der Gestaltung von Natur in Kunst und Landschaftsarchitektur nachgegangen, deshalb ist sie für Studierende der Bodenwissenschaften und Landschaftsplanung von nicht geringem Interesse. Warum? Weil die Veränderungen der Natur durch den Menschen bedenkliche Ausmaße angenommen haben und weil eine Kombination von Kunst, Gesellschaft und Politik unabdingbar sind, um sinnvolle landschaftsplanerische und „naturgerechte“ wissenschaftliche Aktivitäten zu setzen. Sei es, um verseuchte Gebiete wieder für den Menschen nutzbar zu machen, oder sei es, um Prozesse wie die Klimaerwärmung zumindest zu reduzieren. Aufhalten kann man diesen Prozeß wahrscheinlich ohnehin nicht mehr.
Die Ausstellung setzt an den verschiedenen Strategien des (Re)Designings der Natur an und zeigt als ersten Ankerpunkt die Auseinandersetzung mit der Landschaftsästhetik. Die Landschaftsästhetik nützt die verschiedenen Phänomene der Natur, um Räume und Orte zu künstlerischen Gebilden zu gestalten. Mit unterschiedlichsten Elementen wird durch kreative Anordnung ein Raumerlebnis geschaffen, mit Materialien, die direkt der Natur entnommen werden. Die Landschaftsästhetik lehnt sich dabei oft an zeitliche Abläufe, wie etwa den Zyklus der Jahreszeiten, an. Es gilt: Gartenkunst ist Raumkunst.
Der zweite Pfeiler ist die Pflanzenzüchtung und Gentechnik. Das Feld der Pflanzenzüchtung und Gentechnik ist heute bereits weit fortgeschritten. Beinahe mühelos können neue Pflanzenarten gezüchtet, den Blüten eine andere Farbe verpasst und für jede Blume der uns genehme Duft hergestellt werden. Doch die Forschung in der Natur hat auch eine zerstörerische Seite. Viele Naturprojekte, wie etwa Badeteiche, werden nur durch Erdölderivate für uns möglich, und auch im größeren Kontext kommt es immer wieder zu Katastrophen. Hier erscheint die Wissenschaft auch in einem durchaus diskussionswürdigen Licht. Bei der Umweltkatastrophe, die von der „Deep Water Horizon“ im Golf von Mexiko ausgelöst wurde, bewirkte die Forschung offenbar nur, dass die Zerstörung der Natur unsichtbar gemacht, die Zustände jedoch nicht verbessert wurden – „aus den Augen, aus dem Sinn“.
Der dritte große Aspekt, dem die Ausstellung sich widmet, ist eine Übersicht über die zeitgenössische Landschaftsarchitektur. Die zeitgenössische Landschaftsarchitektur hat es sich zum Ziel gemacht, Landschaft und Stadt, Natur und Stadt, neu zu denken. Da Umbrüche im Gesellschaftsleben nicht ausbleiben werden – das Leben wird sich auf Megacities konzentrieren, während andere Orte sich zu Slums oder unbewohnten Städten entwickeln –, braucht es eine sinnvolle Reflexion des Umgangs mit der Natur. Der Fokus liegt dabei auf dem urbanen Raum beziehungsweise auf dem Umgang mit Themen wie Artenschwund und Klimawandel und ihrer Bewältigung. Gefordert wird dabei eine ökologische Sicherung und eine nachhaltige Nutzung von postindustriellen Gebieten sowie die Neugestaltung von Problemzonen. Wichtig ist dabei, dass Mittel und Bedingungen bereitgestellt werden, um diese Projekte des Landschaftsurbanismus in die Tat umzusetzen.
In diesem Zusammenhang wird auch der in „(re)designign nature“ viel zitierte Bruno Latour mit seinem Konzept der „Fünf Vorteile des Begriffes Design“ hochinteressant. Der Begriff „Design“ verkörpert für ihn Demut, Aufmerksamkeit fürs Detail, Bedeutung, ethnische Dimension und ewige Veränderung – also Redesign. Latour begründet dies mit dem Gedanken, dass die Demut des Begriffes daher rührt, dass Projekte, die „designed“ sind, eine langsame Veränderung bewirken, mithilfe von Pflanzen und pflanzen-technischen Hybriden, und so symbiotische Strategien verfolgen anstatt alles Bestehende zu vernichten. Da es bis zur Ebene von Bakterien und Viren geht, ist dies ein weiterer wichtiger Punkt, die Datenerhebung für Designprozesse beginnt nämlich vor dem Entwurf selbst.
Genauso hat Design die Aufgabe „Bedeutung“. Es muss sich mit weit mehr auseinandersetzen als dem Anspruch der Ästhetik – so wie z. B. bei dem Design „Symbosis Hood“, das die politische Spannung zwischen Nord- und Südkorea berücksichtigt.
Der vierte Punkt ist die ethische Dimension, die sich vor allem vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Probleme abzeichnet und das Design verpflichtet, auf die ökologischen Themen der Jetztzeit einzugehen.
Dass Design immer als Redesign aufgefasst wird, ist dadurch gekennzeichnet, dass es nie aus dem Nichts schafft, es wirkt mit Stoffen, die bereits da sind, und stellt somit, auch nach seiner Vollendung, keinen Anspruch auf Absolutheit oder Unvergänglichkeit. Im Gegenteil, das Design trägt immer schon die Idee des Verfalls, auch des eigenen, in sich.
Latour ist sich der Schwäche des Design-Begriffs nicht bewusst, wie die HerausgeberInnen des Ausstellungskatalogs kritisieren, er geht bei seinem Konzept immer von einer konventionellen Objektrolle der Natur aus. Die Natur kann jedoch selbst auch zum Akteur werden, ein Fall, den Latour nicht berücksichtigt. Im Katalog „(re)designing nature“ finden sich dankenswerterweise auch drei Aufsätze, die die weitreichende Thematik der Ausstellung weiter vertiefen: „Natur-Orchestrierung im Urbanismus“ von Bruno De Meulder und Kelly Shannon, „Stadt, Kunst und nahrhafte Gärten“ von Susanne Hauser und „Schmarotzende Gäste und nützliche Gesellen“ von Susanne Witzgall.
Zu Beginn zeigt die Ausstellung als konkretes Beispiel für die Gestaltung bzw. Umgestaltung von Landschaft das Projekt „St. Louis Riverfront“, das auch die Anlage neuer Inseln beinhaltete.
Vincent Callebaut zeigt seinen „Physalia Amphibious Garden“, ein Fiberglasluftschiff, das durch eine Algenfarm auf Deck versorgt wird. Die Produktion von Wasserstoff durch Mikroalgen sorgt für eine autarke Versorgung der Menschen an Bord. Auch wenn behauptet wird, dass dies technisch möglich ist und dass „Luftfracht und Lebensmitteltransporte in unterversorgte Gebiete der Erde“ möglich wären, stellt sich doch die Frage, wie praktikabel solche Transporte sein könnten, z. B. bei einer akuten Hungerkatastrophe, weil ein Luftschiff eben länger braucht, um ans Ziel zu kommen, als ein herkömmliches Flugzeug. Gerade das kann aber der wichtigste Punkt bei einem solchen Projekt sein: dass es uns nämlich die Frage vor Augen führt, ob es langfristig nicht besser wäre, nachhaltig (und hier passt dieser Ausdruck endlich einmal) an der Beseitigung des Hungers zu arbeiten, anstatt alternative Luftfahrzeuge zu entwickeln.
Ein nachvollziehbareres, aus den Medien bereits etwas bekannteres Projekt sind die „High Lines” von Field Operations, bei denen eine stillgelegte Hochbahn-Transporttrasse für Güter in New York den Menschen wieder zugänglich gemacht wird. Besonders innovativ ist daran, dass bei der Wiedernutzbarmachung der Zustand aufgegriffen wird, den die Natur bereits seit dem Ende der Bewirtschaftung der Trasse erreicht hat.
Recht interessant ist auch das Projekt „Landschaft mit Tieren“, bei dem eine besonders artifizielle Natur in der Umgebung eines Landespflegeheims in Niederösterreich realisiert wurde. Beim Projekt „Außenringschnellstraße“ ging es darum, eine 16 km lange, strukturlose Straße mit „potenzieller Landschaft anzureichern“, um Unfällen vorzubeugen. Noch schöner wäre es vielleicht gewesen, diesen Gedankengang noch weiter zu treiben und sich zu fragen, ob man nicht die Schnellstraße überhaupt stilllegen könnte, wie es z. B. eine Dissertantin der TU Wien für die Osttangente in einem absolut realistischen Projekt vorschlägt.
Natürlich kann eine Ausstellung nicht alle aktuellen Strömungen der Landschafts- und Naturgestaltung aufnehmen, und jede Auswahl von Objekten ist zwangsläufig subjektiv und von der Einschätzung der KuratorInnen abhängig. Aber wäre es nicht möglich gewesen, neben der „Ashar macha“ (Platform of Hope), einem Nachbarschaftsprojekt aus Dhaka, Bangladesh, und dem Bedform-Stuyvesant Community Garden in New York Beispiele aus Österreich als Referenz anzuführen? Wie etwa den Nachbarschaftsgarten in der Roda-Roda-Gasse in Wien, den Interkulturellen Landschaftsgarten bei Graz-West oder etwa den Interkulturellen Frauengarten in Kärnten?
Beim Projekt „Tankstellengarten“ der Hager Landschaftsarchitektur wird besonders deutlich, dass „Natur“ auch immer mit „sozial“ und damit auch mit „Geld“ zu tun hat. Bei diesem Projekt handelt es sich um eine als Privatwohnraum revitalisierte, aufgelassene Tankstelle eines Berliner Galeristen, die auch schon in „Schöner Wohnen“ präsentiert wurde. Dazu brauchte er wohl nicht wenig „Knete“, wie der Berliner sagt. Geht es um individuellen Wohnraum, so gibt es in Wien ein Beispiel dafür, wie Natur sehr schön in eine gemeinnützige Wohnhausanlage integriert wurde. In der Breitenfurterstraße 114 im 23. Bezirk liegt die vom Architekten Helmut Wimmer gebaute „gestapelte Kleingartensiedlung“, in der jede Wohnung einen vorgelagerten Kleingarten hat.
Wenn wir auf das erste Beispiel der Ausstellung, die „St. Louis Riverfront“ zurückkommen dürfen, dann hätten wir uns in Wien einen Beitrag oder eine Reflexion zur Wiener Donauinsel gewünscht (oder einen Hinweis darauf, warum nicht). Schließlich war die Donauinsel in den 1980er Jahren das große Vorzeige- und Vorläuferprojekt für die Umgestaltung von Natur, und sie wurde von der Bevölkerung begeistert angenommen und wird bis heute intensiv genutzt.
Was bringt die Ausstellung also?
Erstens die Erkenntnis, wie eng Landschaftsgestaltung und aktuelle Fragen der Umwelt und des Umgangs mit ihr zusammenhängen. Zweitens, wie notwendig und gewinnbringend neue und interdisziplinäre Ansätze bei der Bewältigung dieser Fragen sind und wie groß der Beitrag der Kunst dazu ausfallen kann. Drittens werden Sie möglicherweise eine ganz persönliche Bereicherung mitnehmen und in Zukunft bemerken, dass die Fassade am neuen Stiltempel in der Praterstraße 1 in der Leopoldstadt im Laufe des Tages mit wechselndem Lichteinfall ihre Farbe verändert. Richtig: Es handelt sich um die „Grüne Wand“ von Patrick Blanc außen am neuen Einkaufszentrum „Stilwerk“. Die Ausstellung zeigt mit dem „Street Hanging Garden“ ein ähnliches Projekt. Und nicht zuletzt sehen Sie bemerkenswerte Arbeiten bekannter KünstlerInnen wie „Modifizierte Pflanzenblätter“ von Regula Dettwiler, „Gehäkelte Seide“ von Paula Hayes, die Installation „Unkraut“ von Christine und Irene Hohenbüchler, das Modell #001 von Natalie Jeremijenko, „Brache/Urban Wasteland“ von Reiner Maria Matysik, „Monstruosa“ mit fleischfressenden Pflanzen von Metagardens oder Lois Weinbergers „Mobile Landscape“ – Ruderalpflanzen in Aluminiumcontainern.
Wolf Peterson
Ausstellung (re)designing nature – aktuelle Positionen der Naturgestaltung in Kunst und Landschaftsarchitektur, Künstlerhaus Wien, bis 23.1.2011, Karlsplatz 5, 1010 Wien
Katalog zur Ausstellung: (re)designing nature. Aktuelle Positionen der Naturgestaltung in Kunst und Landschaftsarchitektur. Hrsg.: Susanne Witzgall, Florian Matzner, Iris Meder, Künstlerhaus Wien. Ostfildern: Hatje Cantz 2011.